Stefan Alois Kempf „Bruder Antonius“ ( * 21. Juni 1853 – † 1917)
Staffelberg-Einsiedlerzeit von 1897 bis 1913
Er benannte sich nach „Antonius dem Großen“, einem christlichen ägyptischen Mönch und Einsiedler. Dieser gilt als Begründer des Mönchtums und wurde später heilig gesprochen. „Bruder Antonius“ war allerdings mit seinem Wirken meilenweit von dessen Vorbildcharakter entfernt – mit überraschenden Details.
Interessant und fast schon anmaßend, dass er sich in identischer Pose auf der selben Stufe wie Ivo Hennemann vor dem Kirchenportal fotografieren ließ. Ich habe das Originalfoto von Ivo im gleichen Maßstab um eine Stufe beschnitten. Er kannte ja das Foto von seinem berühmten Vorgänger. Ivo war nur ca. 1,50 m groß. Im übrigen war Antonius sehr geschäftstüchtig, verkaufte auch Postkarten mit anderen Motiven (z.B. Schloss Banz) und entsprechende Mehrfachkarten samt eingestreuter kleiner Farblithografie von sich. Makaber, aber durchaus gebräuchlich und symbolträchtig ließ er sich zweimal mit einem Totenschädel fotografieren. Die Szene aus der bekannten Darstellung von Gerrit (Gerard) Dou (1613 – 1675), Niederlande 1670 und sein Foto sprechen für sich.
Unerwartete Überraschungen aus dem Stadtarchiv Zeil am Main:
Aber es gibt noch eine weitere Überraschung, bevor das Stadtarchiv seine Archivalien öffnet: Diese ausführlich geschriebene Karte von Antonius (Gerd Müller):
Vielen Dank an den Zeiler Stadtarchivar und Autor Ludwig Leisentritt für die freundliche Genehmigung zur Übernahme seiner Forschungsergebnisse. Was er recherchierte, wirft ein noch schlechteres Bild auf Antonius. Zur Frage, was Antonius auf der Karte schrieb, meinte er:
„Auf der zugesandten Postkarte konnte ich zunächst den Adressaten entziffern: Herrn Hermann Wind–Gerichtskassen Rend(!)amt Heiligenstadt. Eisfeld – Gotha. Im Text fiel mir das Wort Schmetterlinge auf. … Obwohl ich ziemlich geübt bin, alte Schriften zu lesen, fällt es auch mir schwer, die eigenwillige Schrift zu entziffern.“
Die Ausgabe der Würzburger Tageszeitung Mainpost vom 25. September 2020 enthielt u.a. den Artikel „Geburt des Ölschnabels – Zeiler Geschichten, von Kaiser Barbarossa, mysteriösen Zwillingen und einem falschen Mönch“. Zuvor berichtete der Fränkische Tag in seiner Online-Ausgabe vom 28. Dezember 2018 von dieser kuriosen Geschichte mit „Bruder Antonius“.
Weitere Ausführungen von Ludwig Leisentritt:
„… Einsiedler und Klausner „Bruder Antonius“
Unsere Gesellschaft wird immer wieder von obskuren Zeitgenossen hereingelegt. Davor sind auch Kirchen nicht gefeit. 1913 kam – auf Wunsch der Zeiler Bevölkerung – vom berühmten Staffelberg ein Einsiedler nach Zeil. In dem bislang privaten kleinen Häuschen hinter dem Käppele beabsichtigte er, ein „wohlgefälliges Leben“ zu führen. Das damals noch bescheidene Anwesen erwarb er von einer Frau Weinig. Der Klausner verkaufte an die Wallfahrer Figuren, Heiligenbildchen, Postkarten, Rosenkränze und Kerzen. Der sich „Bruder Antonius“ nennende Einsiedler, begann auch, ein „sehenswertes Museum“ einzurichten. Sein wirklicher Name war allerdings Stephan Kempf. In der Zeiler Chronik und in der Festschrift anlässlich der letzten Renovierung der Bergkapelle, wird er als biederer Eremit gewürdigt beziehungsweise erwähnt.
Zwielichtige Vergangenheit
Bei der Abfassung dieser Publikationen wusste man noch nichts von der zwielichtigen Vergangenheit des Eremiten, der schon in früherer Zeit versucht hatte, in Klöstern in Würzburg und Salzburg unterzukommen. Dort wurde er jedoch fortgejagt, weil er sich schon damals verdächtigerweise den Zöglingen genähert haben soll. Es stellte sich heraus, dass Kempf weder Kloster- noch Laienbruder war, sondern sich lediglich „Bruder Antonius“ nennen ließ. Er vertrieb auch eine Ansichtskarte vom Käppele mit seinem Portrait. Außerdem ließ er das Frankenlied mit der Umdichtung abdrucken: “ Zum Kapellenberg ob Zeil am Main, komm‘ ich emporgestiegen“.
Er verstand es offenbar, seine zwielichtige Vergangenheit lange Zeit gut zu verbergen. Vermutlich hatte er Gönner in den besseren Kreisen. 1914 sandte er auf seiner Postkarte dem Grafen von Tauffkirchen in Heidelberg einen Neujahrsgruß.
1915 stand der 64-Jährige wegen 14 Verbrechen wider die Sittlichkeit und widernatürlicher Unzucht vor Gericht. 30 Zeugen, darunter 18 Knaben, waren geladen. Dennoch kam er mit vier Jahren und sechs Monaten Gefängnis davon, obwohl der Staatsanwalt fast zehn Jahre gefordert hatte.
Der Heimatort geht leer aus
Anfang 1917 starb der frühere Eremit im Gefängnis in Straubing. Das Staffelsteiner Tagblatt meldete damals, Kempf habe ein Vermögen von 30 000 Mark hinterlassen. Davon sollten mit Legaten 85 Firmpaten profitieren. Haupterbe war jedoch sein unterfränkischer Heimatort Holzkirchhausen, wo er die Gründung einer Kleinkinderbewahranstalt fördern wollte. Obwohl der damalige Zeiler Pfarrer Dümler Testamentsvollstrecker war, ging der Ort seines früheren Wirkens leer aus. Seine Erben verpachteten die Verkaufsbude und das Gebäude hinter der Kapelle. 1919 erwarb Pfarrer Dümler das Anwesen und das umliegende Gelände für die Kirchenstiftung.“
Die Zeitspanne in der Stadt Zeil am Main ab 1913 – siehe Unterabschnitt „Stadtarchiv Zeil“